Bindung und Autonomie – die richtige Mischung entscheidet
Bist du dir selbst eigentlich dessen bewusst, wie es um die Bindungen in deinem Leben steht? Wie gut bist du in den Beziehungen zu deiner Familie, deinen Freunden, deinen Kollegen, deinem Umfeld verbunden? Wie bleibst du mit anderen Menschen in Verbindung? Magst du engere Bindungen? Bleibst du auch über Entfernung mit anderen verbunden?
Bindung ist ein Wort, das wir fast alltäglich in den Mund nehmen, oft in kleinen Abwandlungen. So kümmern Unternehmen sich um Kundenbindung. „Wir bleiben in Verbindung“ ist eine häufige Abschiedsfloskel. Es gibt Studentenverbindungen und jede Menge Verbände. Tatsächlich aber hat Bindung eine elementare Bedeutung für unser gesamtes Leben. Wie gut unsere Bindungserfahrungen waren und wie wir diese entweder in unser Erwachsenenleben retten oder aber sie erst einmal neu bearbeiten, ist ein entscheidender Faktor für unsere psychische Gesundheit.
Verständnis für dein eigenes Bindungsverhalten
Wie in allen meinen Artikeln möchte ich dir vor allem eine konkrete Hilfestellung geben, die dich in deinem alltäglichen Leben unterstützt. Ich gehe daher nicht zu tief auf die Theorie und auf wissenschaftliche Aspekte ein, da es über diese schier endlose Literatur gibt und dies nicht der Anspruch meines Blogs ist. Du findest also nur hier und da kleinere Einblicke in Hintergrundwissen, wo diese zum Verständnis notwendig sind.
Wie du weisst, arbeite ich mit der Therapiemethode Bindungsenergetik. Diese basiert unter anderem auf den Bindungstheorien, die bereits seit den 40er Jahren von dem Kinderpsychiater John Bowlby gemeinsam mit James Robertson und Mary Ainsworth entwickelt wurden. Die gesamte Entwicklung hat diverse sehr spannende Bücher hervorgebracht – für diejenigen, die sich für tiefergehende Informationen darüber interessieren, hänge ich eine Literaturliste an den Artikel an.
Bindung zieht sich wie ein roter Faden durch unser gesamtes Leben und hat erheblichen Einfluss darauf, wie wir es gestalten und wahrnehmen. Selbst wenn wir jeglicher Bindung aus dem Weg gehen, wirkt sich das wiederum auf unser Leben aus und führt es unweigerlich in bestimmte Richtungen.
Zwei Pole, die unser Dasein bestimmen: Bindung und Autonomie
Grundsätzlich haben wir alle ein absolutes Grundbedürfnis nach Zugehörigkeit und Gemeinschaft. Jeder von uns möchte sich im Grunde seines Herzens geliebt und angenommen fühlen und in Bindung sein. Gleichzeitig besteht in uns allen ein existentielles Bedürfnis nach Autonomie und Selbstständigkeit. Wir möchten ein eigenständiges und selbstbestimmtes Leben führen.
Diese beiden Pole bestimmen unser Dasein und genau genommen sogar das gesamte Weltgeschehen, das ja nunmal von einzelnen Menschen gelenkt wird: In welchen Situationen bin ich bereit, mich an die Gemeinschaft anzupassen, um ein Teil von ihr zu sein? Und wie weit lasse ich mich darauf ein? Wo lasse ich dagegen nicht mit mir reden, sondern folge meiner eigenen Meinung, meinen Wünschen und Ansichten? Wo grenze ich mich ab? Bindung oder Autonomie – was ist in welchem Moment wichtiger, worin überwiegen meine Vorteile? Das ist der teils bewusste, teils unbewusste Prozess, der über die richtige Balance entscheidet. Und er ist damit verantwortlich dafür ist, ob wir ein zufriedenes oder eher ein unglückliches Leben führen.
Gute Bindung sorgt für Selbstsicherheit
Wie wir diese Balance halten können, ist eine Frage unseres Selbstwertgefühls und unserer Selbstsicherheit. Und diese wiederum ist zunächst einmal ein Fazit unserer frühesten Bindungserfahrungen:
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Wenn wir zur Welt kommen, ist unser Gehirn nur zu 25% ausgereift. Unsere Erziehung und unsere Prägung (mehr hierzu in meinem Blogartikel „Wer wir sind und wer wir werden sollten“) sorgen dann für die ersten Spuren in unserem Gehirn, die die Strukturen für unser gesamtes weiteres Leben bilden. Ganz besonders entscheidend hierfür sind die ersten Lebensjahre: In ihnen wird in uns ‚programmiert’, wie sicher oder unsicher wir uns fühlen.
Ein Kind, das eine sichere Bindung zu seinen nächsten Personen hat (entscheidend ist hier in den meisten Fällen die Mutter, auch hinsichtlich der Schwangerschaftsmonate und der Geburt selbst), muss sich um diesen Aspekt seines Daseins nicht kümmern. Es fühlt sich geborgen und kann in dieser Eingebundenheit die Welt entdecken, Neues lernen, sein Gehirn mit Erfahrungen füllen.
Hat ein Kind dagegen Eltern, die ihm diese Sicherheit nicht geben können – sei es durch soziale Probleme, Krankheit, eigenen Mangel an Selbstsicherheit, eigene schlechte Kindheitserfahrung oder ähnlichem – liegt sein Hauptfokus darauf, diese Sicherheit herzustellen. Es ist in den meisten Fällen nur noch darauf bedacht, sich so zu verhalten, dass die Bindungsperson ihm Nähe gibt, ungeachtet dessen, ob dies ein Verhalten ist, das ihm selbstverständlich zu eigen wäre. Es möchte gefallen. In späteren Jahren kann sich dieses Verhalten ins Gegenteil kehren: Das Kind wird dann die Nähe eventuell kappen und sich um größtmögliche Autonomie bemühen, und das um jeden Preis.
Psychische Probleme durch mangelnde Bindung
Egal ob extremes Bemühen um Nähe oder extremes Abkehren von Bindung: Die Balance stimmt nicht, es entsteht keine gesunde Selbstsicherheit, kein gesundes Sozialverhalten, die Persönlichkeit kann sich nicht gut entwickeln. In leichteren Fällen wird derjenige immer wieder in Beziehungsproblematiken verwickelt werden und sich selbst vieles nicht zutrauen und sich so in seinem Leben enorm einschränken.
In schlimmeren Fällen kann diese Fehlentwicklung sogar diverse psychische Probleme nach sich ziehen: Ein sogenanntes Entwicklungstrauma ist zum Beispiel möglich, das ein Leben lang immer wieder für Schübe von Angst und Depressionen sorgt. Und in extremen Fällen kann eine Persönlichkeitsstörung entstehen, die unter anderem charakteristisch durch eine Disbalance von Bindung und Autonomie, also von der Gewichtung von Anpassungswunsch und –fähigkeit gekennzeichnet ist. Darunter fallen bespielsweise Narzissmus, die abhängige Persönlichkeitsstörung oder vor allem die emotional-instabile Störung (Borderline).
Bindung und Autonomie neu ausrichten
Was fängst du aber nun mit diesen Informationen an?
Ich bin Fan davon, sich selbst zu verstehen. Wir müssen nicht alle langjährige Psychoanalysen hinter uns bringen, aber wir sollten ein paar Eckdaten unseres eigenen ‚psychischen Programms’ kennen. Es gibt nicht die eine Realität, sondern jeder steckt in seinem eigenen Kopf mit seinen eigenen Denkweisen, die wiederum großen Einfluss auf die Wahrnehmung und die jeweiligen Gefühle haben. Es ist unsere Brille, durch die wir die Welt sehen. Das muss uns klar sein und vor allem müssen wir unsere Sicht kennen. Nur dann können wir verstehen, wo wir Fehlwahrnehmungen und wo wir Entwicklungsbedarf haben. Wir müssen nicht klein-klein jedes Erlebnis unseres Lebens durchleuchten, aber wir müssen den oben genannten roten Faden durchblicken:
Wo sind wir sicher (und verhalten uns unseren eigenen Anlagen gemäß)? Wo ist unser Verhalten davon geprägt, dass wir zu viel Bindung und Nähe brauchen? Und wo davon, dass wir uns zu sehr abkehren und an Stellen auf unsere Autonomie beharren, wo es uns schadet?
Wenn du dir hierbei ein wenig auf die Schliche kommst, hast du den ersten Schritt schon einmal gemacht. Denn Verständnis für uns selbst und für unser eigenes Verhalten ist die Grundvoraussetzung dafür, dass wir Alternativen erwägen und ausprobieren. Und dafür dass diese uns in ein anderes Fahrwasser bringen, das unseren Kopf zur Ruhe bringt und uns neue Gefühlswelten eröffnet. Natürlich ist das keine Kleinigkeit. Aber ich möchte hier für Aufklärung darüber sorgen, dass wir unser Glück eben auch dann selbst in der Hand haben, wenn unsere Basis vielleicht nicht gelungen ist. Das Gehirn ist bis ins hohe Alter hinein in der Lage, seine Strukturen zu verändern – sei also aufgeschlossen, sei entschlossen, fass dir (d)ein Herz!
Literaturliste:
John Bowlby:
Bindung als sichere Basis: Grundlagen und Anwendung der Bindungstheorie
Frühe Bindung und kindliche Entwicklung
Mutterliebe und kindliche Entwicklung
Bindung
Verlust: Trauer und Depression
Trennung: Angst und Zorn
Das Glück und die Trauer
Klaus u. Karin Grossmann:
Bindung und menschliche Entwicklung – John Bowlby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie
Michael Munzel:
Das erfolgreiche Streben nach Sicherheit: Über emotionale Bindung, Selbstsicherheit und das gehirndominierende Bindungsmuster
Stefanie Stahl:
Das Kind in dir muss Heimat finden
Jeder ist beziehungsfähig
Nestwärme, die Flügel verleiht
Vom Jein zum Ja
Fotos: Titel: Xavier Mouton Photographie on Unsplash / weitere: Photo by Chema Photo on Unsplash
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